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Das „Berlin Last Masters“

Das „Berlin Last Masters“ ist ein zynischer Spaßevent, der die hierzulande herrschenden politisch-ökonomischen Verhältnisse anschaulich zum Ausdruck bringt.
Es handelt sich dabei um ein Golfturnier, das ausschließlich für Reiche und Superreiche aus aller Welt ausgerichtet und im innerstädtischen Bereich in Berlin durchgeführt wird.

Zwischen Zoologischem Garten und Rotem Rathaus wird für die Dauer des Turniers ein geeigneter Parcours  abgesteckt. Dieser führt durch den Tiergarten und entlang der Straße des 17. Juni vorbei am Brandenburger Tor hin zum Rotem Rathaus. Der Abschlag erfolgt auf dem Dach des Europa-Centers.

Der Bereich wird während des Turniers geräumt und streng abgeschottet. Als Zuschauer sind nur handverlesene VIPs und Journalisten zugelassen.
Exklusiver Verkauf der Senderechte an den meistbietenden Sender. Werbung und Marketing übernimmt die Gesellschaft „Partner für Berlin“. Teilnehmerzahl: 50. Teilnahmegebühr: 1.000.000 €.

Goethe und Hegel auf dem Gipfeltreffen der untoten Denker

„Die Eitelkeit der Religionsstifter und Philosophen findet naturgemäß darin ihren Ausdruck, daß sie sich in geistig-moralischer Hinsicht als Weltpolizei aufspielen.“ (I. Kant)

In den MTV-Studios, Berlin 1998

Und siehe: In einer Fernsehshow, „Lesezirkel“ genannt, geschah’s. Dorthin hatte der Stuckrad-Barre zum „Treffen der untoten Denker“ geladen. Daraus gab es kein Entrinnen.
Also trat auch ER nochmals öffentlich auf. Goethe. Der Große. Gemeinsam mit dem „Gespenst“ (W.R. Beyer, 1980) Hegel ging er dort um – und wie auch nicht? Als Untote geistern sie umher. Dazu verdammt, dem Ruf der Gelehrten und anderer Geisterbeschwörer zu folgen.
Während die meisten noch plan- und ziellos diskutierten, veranstalteten Goethe und Hegel ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Anfang an. Souverän beschleunigten sie aus der Pole-Position und ließen das übrige Feld schon bald hinter sich. Ja, auch den Stuckrad-Barre. Obwohl der auch diesmal seine gefürchtete Profilneurosenpeitsche mit sich führte. Gerade, als er damit wieder zu einem nervtötenden Knall ansetzte – siehe: da ging von den Köpfen Goethes und Hegels ein wundersames Leuchten aus, so daß alle in Ehrfurcht erstarrten. Wärmend, erhellend, ja alles und jeden erleuchtend verbreitete sich ein weißes Licht im Raum, bis die Meisterdenker jeweils ein überdimensionales Kondom hervorzogen und sich daranmachten, es sorgfältig und gekonnt über den eigenen Kopf zu streifen; so, als handle es sich nicht um Kondome, sondern um die schönsten geflügelten Helme. Begannen sodann ein genußvolles Rubbeln, jeder für sich und doch synchron; die Hände mal eher schnell, mal eher langsam seitlich kopfaufwärts und -abwärts bewegend.
Alle starrten wie verzaubert auf die vollkommenen Bewegungen der Geistestitanen und lauschten ihrer gedanklichen Odyssee, die zuerst durch Raum und Zeit führte, dann durch das Reich der Metaphysik und durch das Sein-Nichtsein-Kontinuum, bis sie eine „Kehre“ (Heidegger) vollzogen und das Ganze von vorn begann. Lange starrte man offenen Mundes, bis das Geschehen seinen Höhepunkt erreichte und Goethe und Hegel die abendländische Metaphysik gemeinsam vollendeten. Alles ging sehr schnell: ihr heute schon legendäres Einbiegen in die Zielgerade ihres Denkens; das Erreichen des Höhepunkts; das sichere Auffangen der Gedankenejakulate durch das bewährte Safer Thinking, um die Urheberschaft nachweisen zu können. Dann die Ruhe nach der Eruption. Das sprachlose Staunen des Publikums. Das gekonnte Abstreifen der Kondome. Die anschließende Auswertung. Und schließlich das Ergebnis: „Alles ist eins und zwei zugleich.“
Lange standen die Worte unangetastet im Raum. Bis Nachfragen aus dem Publikum kamen, und Hegel erklärte: „Das Absolute selbst aber ist darum die Identität der Identität und der Nichtidentität; Entgegensetzen und Einssein ist zugleich in ihm.“
Wieder schwebte das Gesagte lange im Raum. Zu lange diesmal. Denn der zeitweilig paralysierte Stuckrad-Barre brach erneut mit furchtbarer Gewalt über die Anwesenden herein, so daß die Veranstaltung aus dem Ruder lief. Da entwichen Goethe und Hegel durch die Hintertür.
Draußen erwartete sie schon ihr Chauffeur, am Steuer einer Stretchlimousine sitzend. Und sie hinein, von Spitzenmodellen der Marke „Silicon Mountain“ lautstark begrüßt. Champagner wurde ausgeschenkt, und die Fahrt ging los! Am schönsten von allem aber war die Gewißheit, daß sie die abendländische Metaphysik vollendet hatten. Relativität hin oder her, der Gipfel des Mount Cleverest – erklommen war er. Erklommen von ihnen, das Absolute zu besingen: den Gott aller Götter und Vater aller Möglichkeiten, den Weltgeist!

Ein Auszug aus „Wir sind Krise“, Band I. Aphorismen

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Weil man die moralischen Empfindungen mit den Gefühlen verwechselt, setzt man Fühlen und moralisches Empfinden gleich – und lebt vor sich hin, ohne von diesem Selbstbetrug auch nur etwas zu ahnen.

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Er befreite seine Gefühle. Entfaltete sie. Bildete sie aus – und entdeckte eine neue Welt.

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Angst und Wut, Freude und Trauer, Neid und Haß, Niedergeschlagenheit und Melancholie, Liebe und Verliebtheit: so lauten einige der Titel, mit denen man emotionale Vorgänge in einer grob vereinfachenden Weise bezeichnet. Dies in der Absicht, eine ungeheure, vom Ichbewußtsein nicht erfaßbare Komplexität wenigstens oberflächlich verstehbar, handhabbar, verhandelbar zu machen.
Tatsächlich beschränken sich unsere Erfahrungen bisher weitgehend auf die Wirkmacht jener durch eine moralische Dressur umfunktionierten Emotionen, weil diese unser Gemüt ungleich heftiger bewegen als die Gefühle, die unversehrt geblieben sind. Man weiß nur zu gut, wovon ich spreche: von den wertezentrierten Gefühlskomplexen wie den Obsessionen, Depressionen, Neurosen und narzißtischen Störungen, die ihre das Ich negativ tangierende Wirkung stets mit lärmender Brutalität entfalten. So daß man sagen kann, daß wir Modernen primär nur mit den Symptomen des Krankheitsverlaufs des inneren Empfindens Bekanntschaft schließen konnten und uns eingestehen müssen, das Reich der Gefühle bisher nur gestreift zu haben.
Die moralbedingte Umfunktionierung der Emotionen ist auch eine der Ursachen dafür, daß so viele wissenschaftliche Arbeiten als lebensferne Begriffskonstrukte daherkommen bzw. als Aneinanderreihungen sinnenfeindlicher Abstrakta, während manche Werke der Kunst, und insbesondere der Musik, oft das kreischende Gegenextrem dazu bilden: auf der einen Seite herrscht der Mangel an Gefühl, auf der anderen die Hypertrophie einer Leidenschaft.

Ein Auszug aus „Wir sind Krise“, Band I. Aphorismen

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Die moralbedingte Aufspaltung von Geist und Körper, Ich und Selbst, Verstand und Gefühl wurde von den Architekten der Metaphysik dadurch sanktioniert, sanktifiziert, daß sie die Metaphysik verabsolutierten, sie zur Königsdisziplin der Philosophie erhoben.
Wenn es auch nachvollziehbar ist, daß man damals, als Pionier des spekulativen Denkens, noch darauf hoffte und hoffen konnte, der Existenz einer wahren unveränderlichen „Hinterwelt“ (Nietzsche) auf der Spur zu sein, einem Paralleluniversum, in dem alle Ideen enthalten und Raum und Zeit, Werden und Vergehen entrissen sind, – so hat sich die Verabsolutierung der Metaphysik, wie man heute nur zu gut weiß, doch höchst fatal ausgewirkt. Hat jenes Jahrtausende währende, vollends grotesk anmutende Streben viel zu vieler Philosophen und Wissenschaftler nach der Aufdeckung der Wahrheit der Welt nach sich gezogen. Hat zu jener Tradition des spekulativen Denkens geführt, theologisch oder ontologisch respektive „onto-theo-logisch“ hergeleitete Systeme begrifflich immer höher aufzutürmen, bis die „Wahrheit der Welt“ zu einem unmenschlichen Abstraktum geworden war. Und hat letztlich nur der Vermehrung des Leids gedient, des Leids des Menschen an sich selbst und am Leben, weil das Versprechen, das Sein des Seienden bzw. die Wahrheit der Welt erkennen und begrifflich darstellen zu können, von den Apologeten des spekulativen Denkens natürlich niemals eingelöst werden konnte.

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Unsere Irrtümer tragen meist mehr zu unserer Entwicklung bei als unsere Wahrheiten – und erweisen sich zudem als bekömmlicher, weil sie uns nicht besetzen.

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Seltsam: Indem wir die Wirklichkeit erforschen, erfassen und erschaffen wir sie, beides zugleich. Wenn wir wenigstens um das prozentuale Verhältnis zwischen Erfaßtem und Erschaffenem in unseren Forschungsergebnissen wüßten!

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Mit dem Begriff „abstraktes Bewußtsein“ bezeichne ich eine Verstandestätigkeit, die auf Distanz beruht, nämlich auf der willentlich eingenommenen Distanz des bewußt Agierenden zu sich und der Welt. Ich spreche von jener Art des rationalen Ausgreifens und Aneignens, wenn sich ein Teil des Bewußtseins vom Ich abgesondert hat und um die Dinge wie ein Netz herumlegt, um darin den Abglanz der Welt einzufangen und vom Dinglichen abzulösen und in abstrakte Formen oder Begriffe zu überführen.
Kein Zweifel, dieses sich mittels der Vorstellungskraft des rationalen Denkens vollziehende Abstrahieren der Welt ist von ganz eigener Qualität, verfügt über einen eigenen Zauber und Glanz – und dennoch: Bleibt nicht immer das Unbehagen, daß der abgesonderte Teil des Bewußtseins vielleicht verlorengehen könnte? Den Weg zurück nicht mehr findet?
Und was geschieht zuletzt mit den Eindrücken und „Erkenntnissen“, die man auf diese Weise gewonnen hat? Verblassen sie nicht schon bald zu nichtssagenden Schemen? So daß man sich nach jedem derartigen „Außer-sich-gewesen-sein“ immer ein wenig ärmer fühlt? Als stünde man danach mit leeren Händen und mit leerem Herzen da?
Meine Instinkte und Gefühle jedenfalls warnen mich davor. Sie begreifen diese Art der Verstandestätigkeit, die etwas anderes ist als ein mit den Sinnen und Gefühlen verbundenes Denken, als einen gefährlichen Bruch im Prozeß meiner Selbstentfaltung, als etwas Auflösendes, Schwächendes, Ungesundes – und wie käme ich dazu, das Urteil meiner Instinkte anzuzweifeln? Würde ich dadurch nicht zur Beute des „abstrakten Bewußtseins“?

Eine Anmerkung aus aktuellem Anlaß (Marx-Jahr 2018). Ein Auszug aus „Wir sind Krise“, Band I

Die Ideologie des Marxismus (sic) – gemeint ist das politisch-gesellschaftliche Ideengebäude des Marxismus, nicht die Marxsche Analyse der Funktionsweise des kapitalistischen Systems – ist mithin nichts weiter als ein aus der bürgerlich-liberalen Ideologie abgeleitetes „Derivat“, die Fortsetzung und Zuspitzung nämlich jener vom revolutionären Bürgertum erst vehement propagierten und aber durch die gewaltsame Etablierung des kapitalistischen Herrschaftsapparats schon bald verratenen und verkauften sozialrevolutionären Ideale.
Die herrschende moralische Struktur spaltet die Welt grundsätzlich in zwei diametral entgegengesetzte Seinsdimensionen. In der bürgerlichen Doppelmoral etwa wurden einerseits die Ideale „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“ verabsolutiert, während andererseits, in der „realen Dimension“, also in der realen Menschenwelt, die kapitalistische Klassengesellschaft etabliert wurde, um von den Profiteuren des Systems seitdem als beste Herrschaftsform aller Zeiten gepriesen zu werden. Es bietet sich mithin an, die herrschende moralische Struktur in Form eines gewöhnlichen Bruchs darzustellen. Im Zähler steht immer die ideale Welt: die Welt und der Mensch, wie sie den herrschenden Idealen nach sein sollen, im Nenner stets die reale Welt, die wirklichen gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen.
Ich denke, der Widersinn, „Ohne-Sinn“ (Nietzsche) dieser Struktur leuchtet unmittelbar ein? Nicht nur die Unvereinbarkeit der Dimensionen mußte sich früher oder später verheerend auswirken, sondern vor allem auch die irrsinnige Annahme, daß die Verwirklichung der idealen Dimension tatsächlich möglich sei. Und eine derartige moralische Struktur liegt, wie billig, auch der Ideologie des Marxismus zugrunde. Auch hier haben wir im Zähler wieder die ideale Welt – hier: die „klassenlose Gesellschaft“ –, also das gesellschaftliche Endziel der marxistisch-kommunistischen Mission; und im Nenner die konkrete Herrschaftsform – hier: die „Herrschaft der Arbeiterklasse“ bzw. die „Diktatur des Proletariats“ –, die gewaltsam durchgesetzt und so lange aufrechterhalten werden soll, bis der angestrebte gesellschaftliche Idealzustand eintritt.
Marx schrieb: „Was ich neu tat, war 1. nachzuweisen, daß die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist; 2. daß der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3. daß diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zur klassenlosen Gesellschaft bildet.“35 Und der sozialistische Vordenker Antonio Gramsci ergänzte: „Im Interesse ihrer Existenz und ihrer Entwicklung muß die Proletarische Diktatur einen betont militärischen Charakter annehmen.“36

Und so ist man bekanntlich auch verfahren, sei es im Bolschewismus, im Stalin-Sozialismus oder im Maoismus. Immer wurde der Bevölkerung sonstwas versprochen, und fast immer lief die Herrschaft der staatskommunistischen Regimes in Wirklichkeit auf die Unterdrückung und (versuchte) Gleichschaltung der Bevölkerungsmehrheit hinaus, phasenweise auch auf Terror und auf die Ausübung blutiger Gewalt. Und das nicht allein deswegen, wie einige hoffnungslose Idealisten nicht müde werden zu beteuern, weil der real existierende Sozialismus ein Fehlversuch gewesen sei, ein unter ungünstigen Bedingungen aus dem Ruder gelaufenes Experiment; sondern, und das ist der springende Punkt, weil die marxistische Ideologie die Diktatur einer proletarischen Führungsriege als ein notwendiges gesellschaftliches Übergangsstadium auf dem Weg zur „klassenlosen Gesellschaft“ festgeschrieben und dadurch moralisch sanktioniert hat.
Damit gibt sich der Marxismus als eine Hybridform der Moral zu erkennen, weshalb der real existierende Sozialismus dem sozialen Fortschritt und der Emanzipation des Menschengeschlechts immer nur dem Ideal nach verpflichtet war und in Wirklichkeit die Unterdrückung der Bevölkerung sowie die Ausbeutung und Zerstörung der Natur betrieben hat: so daß viele der Vordenker und Führer des Kommunismus als scheinheilige Tyrannen eingestuft werden müssen, als Propagandisten und/oder Vollstrecker einer im Namen der Gleichheit und Gerechtigkeit geheiligten Diktatur.
Um es nochmals auf den Punkt zu bringen: weil die Hybridformen der Moral Auswüchse der christlichen Doppelmoral sind, dienen sie ihrer Struktur gemäß immer nur der Verwirklichung der „Apokalypse“, also der im Namen der Erzeugung eines Neuen Menschen oder im Namen der Schaffung einer angeblich besseren Gesellschaft exekutierten Verwüstung der Wirklichkeit (Erde, Natur) und des wirklichen Menschen. Ob im Liberalismus-Kapitalismus oder im real existierenden Sozialismus-Kommunismus, immer findet sich dieser Zusammenhang, immer wurde im Namen der Optimierung des Menschen und der (Menschen-)Welt sowohl ein auf die Unterdrückung und Gleichschaltung der Bevölkerung als auch auf die Ausbeutung und Zerstörung der Natur gleichermaßen perfekt abgestimmtes Herrschaftssystem etabliert und mit allen Mitteln am Laufen gehalten.

Ein Auszug aus „Wir sind Krise“, Band I

Mehr als 100 Jahre nach Nietzsches bahnbrechender Vorarbeit hat es sich sogar bis in die Reihen der akademischen Zunft herumgesprochen, daß in dem vorrangig aus Texten geknüpften „Bedeutungsgewebe“ der Philosophie und Wissenschaft Aussagen von rein objektivem Charakter nicht vorkommen – und daß die Fähigkeit, derartige Aussagen zu treffen, auch weiterhin nur den Göttern und verwandten Wesenheiten vorbehalten bleibt. Daher werden sich vermutlich auch nur wenige daran stoßen, daß ich im zweiten Kapitel keine geschichtswissenschaftliche Untersuchung vorlege, sondern eine auf den Ergebnissen der kulturwissenschaftlichen, tiefenpsychologischen und historischen Forschung basierende geschichtsphilosophische Abhandlung. Vorsichtshalber sei dennoch daran erinnert, daß ich mich als Philosoph der historisch-kritischen Methodik der Geschichtswissenschaft nicht unterwerfen darf, weil ich das Thema sonst aus der Winkelperspektive des Fachmanns betrachten und dadurch aufhören würde, Philosoph zu sein (dies ist keine Kritik der Wissenschaftsdisziplinen und ihrer methodischen Verfahren!).
Was ist ein Philosoph? Ein Erforscher, Interpret und Kritiker der Moral und ihrer Wirkungsgeschichte, der geschichtlich in Erscheinung getretenen Werte und Wertekonstellationen sowie der Machtverhältnisse, die durch sie zementiert wurden. Mitunter ist er auch ein Schöpfer von Werten oder ein Architekt der Moral oder ein im Reich der Psyche schweifender Krieger oder ein Komponist, der das Auf und Ab im herrschenden Wertegefüge kunstvoll in Sprache setzt (Goethe z.B.); niemals aber ist ein Philosoph bloß Gelehrter, Wissenschaftler, Theoretiker und Beobachter des Lebens, sondern, wie jeder echte Künstler auch, ein Schaffender aus innerer Notwendigkeit, Mund und Auge und Ohr und Hand des ihn ausfüllenden Lebens.
Was ist das Leben des geistig Schaffenden? Ein Kreislauf der Selbsterfahrung, des Eingeweihtwerdens ins Selbst.
Es sollte sich auch niemand groß daran stoßen, daß ich, im Unterschied zu den Vertretern der Postmoderne, am Begriff der „Hochkultur“ und dem damit verbundenen Privileg festhalte, Scheißdreck auch weiterhin als Scheißdreck zu bezeichnen – die Klangerzeugnisse der Gruppe Modern Talking etwa – und Schwachsinn auch weiterhin als Schwachsinn, etwa die dummdreiste Pseudopolitik der SPD, FDP, AfD. Gegen die in der Postmoderne vorgenommene Erweiterung des Kulturbegriffs ist selbstredend nichts einzuwenden; allerdings wird wohl niemand ernsthaft bestreiten, daß sich etwa auch im Bereich der „Jugendkultur“ große Qualitätsunterschiede bei künstlerischen Erzeugnissen feststellen lassen.
Doch zurück zur „Erwachsenenkultur“! Eine zeitlos gültige Unterscheidung der sich in der kapitalistischen Kultursurrogatproduktion Verdingenden von den Kulturschaffenden hat Heinrich Heine en passant in folgendem Satz fixiert: „(…) sie lassen ihr Schifflein ruhig fortschwimmen im Rinnstein des Lebens, und kümmern sich wenig um den Seemann, der auf hohem Meere gegen die Wellen kämpft; (…)“

ArtTrain. Zeitgenössische Kunst zum Thema „Nationalismus und europäische Kultur“

ArtTrain …

… ist Kunst.

… ist Kunst in Bewegung.

… ist interantinational ausgerichtet.

… ist ein gesamteuropäisches Kunstprojekt.

… dient der Idee eines politisch und geistig vereinten Europa.

… thematisiert das Spannungsfeld zwischen nationalen und europäischen Identitäten.

… bejaht die Schaffung einer europäischen Kultur.

… ist Symbol.

› Ausgangsfrage

Wie sieht ein ungewöhnliches zeitgenössisches Kunstprojekt zum Thema „Nationalismus und europäische Kultur“ aus?

Lösung

Die Exponate werden in einem Hochgeschwindigkeitszug gezeigt, im ArtTrain. Entsprechend müssen sie von den Künstlern so gestaltet werden, daß sie in den mit Kunst zu bespielenden Bahnwagen präsentiert werden können. Die Ausstellung wird in der Mitte des Zuges platziert und muß begehbar sein, weshalb nur Wagen ohne „Innenausstattung“ – ohne Bestuhlung usw. – für die Präsentation in Frage kommen. In den Wagen wird ein „Kunst-Parcours“ abgesteckt, etwa durch den Einbau von Raumteilern.

Das Projekt ArtTrain ist Symbol! Es dient der Idee eines vereinten – auch eines geistig noch zu vereinenden – Europa und bezieht Stellung gegen den in den Ländern der EU um sich greifenden Nationalismus und Faschismus.

Die Ausstellung wird in Brüssel eröffnet, wo auch die Abschlußveranstaltung stattfindet. Die Route, die der Zug von Brüssel aus nimmt, hängt davon ab, welche Partnerländer sich am Projekt beteiligen.
Im Rahmen der Abschlußveranstaltung wird die Dokumentation des Projekts präsentiert. Zur Abschlußveranstaltung gehört auch eine Podiumsdiskussion zum Thema „Wie zu einer europäischen Kultur gelangen?“

› Vorgaben an die Künstler

Das Thema soll entsprechend der in den Wagen herrschenden Bedingungen künstlerisch umgesetzt werden. Die Künstler sowie die Wissenschaftler und Philosophen, die an der Abschlußveranstaltung beteiligt sein sollen, werden durch die beteiligten Partner(-Länder) im Vorfeld durch eine öffentliche Ausschreibung ermittelt. Alle europäischen Künstler können einen Entwurf einreichen.

© Wort & Konzept Richard Jecht, das Konzept „ArtTrain“ ist urheberrechtlich geschützt

 

Abgesang. Ein Auszug aus „Das Mensch-Ding“

Nach zwei Jahrtausenden
der Erzeugung eines Kollektivwahns
erlischt die christliche Moral
im Schlacke- und Aschemeer
verglühter Ideale.
Willenlos lauschen müde Körper
dem Abgesang reizüberfluteter Nerven
– in unbewußter Verinnerlichung
der Folgen von Gottes Untergang –,
erwarten – den Verfall.

Da steigt aus morschem Singsang
noch einmal ein fauler Zauber!
Ein wundersames Gedankenejakulat
entschwebt in den Weiten des
Laboratoriums und sucht und findet
und vereint sich mit „platoni-
scher Nährflüssigkeit“, so daß
ein neues Wesen entsteht: eine
bereits vom ersten Moment ihres Seins
an zu vollkommener Selbsterkenntnis
gelangende Supermonade.

Ein Auszug aus „Wandlung. Poetische Philosophie“

Die Gefühle verbinden sich; greifen aus; berühren – flügelförmige Tore aus nachtblauem Stahl. Kosten Widerstand, kosten ihn aus. Erhöhen den Druck, und die Tore gehen auf. Wie ein unsichtbarer Kopffüßler kriecht die Angst in mir empor. Saugt sich an den Lippen fest, hält tastend Ausschau und begreift. Schiebt sich, zwängt sich, stößt sich ins Innere zurück und nistet sich dort ein. Vergeblich, denn die Nervenbahnen haben sich wie Bogensehnen gespannt und singen, als sie  mich zwingen, die Tore zu durchqueren.

Jetzt? – ist alles Tod. Ist ein ewig währender Augenblick, in dem das Leben als eine Form des Todes existiert und der Tod als eine Variation des „Nichts“.
Das verbürgt ein altes Geschlecht. Ein einst aus Fleisch und Blut gebildetes Göttergeschlecht, das im Zeichen des Osiris durch jede Geste, jedes Wort, jeden Krieg nach Unvergänglichkeit im Reich des Todes strebte, nach ewigem Sein in einer Wüste aus Weiß, – und die Sinne, Gefühle, Instinkte krümmen sich. Ziehen, zwingen mich den Weg zurück, auf dem ich hierher gelangt bin. Durch eine Allee von Ölbäumen führt der Weg, die vor einem weißen Himmel wie schwarze Gerippe stehen, – und ich lasse das Reich des Todes wie ein sich langsam entfernendes Ufer zurück. Beschleunige den Lauf und atme mich zu mir, atme mich durch die sieben Himmel des sinnlichen Empfindens ins Leben zurück und finde mich im Kreislauf von Werden und Vergehen wieder: als ein Gejagter.

Denn sie ist überall. Ist unter! neben! vor! über! hinter! – ist in mir. Überfällt mich. Führt mich in die Irre. Treibt mich vor sich her wie ein verängstigtes Wild. Mir schwindelt, die Blicke suchen nach Halt. Versuchen sich an dem festzuhalten, was Blatt, Baum, Stein, Fluß, Himmel, Erde, Mensch, genannt wird, versuchen es vergeblich, denn sie ist immer schon da. Verspottet mich, erwartet mich an jeder Oberfläche, – da versinkt das Selbst in Zorn. In Hitze, die von Zelle zu Zelle springt und sich wie ein Flächenbrand in mir entlädt; in Rot, das den Körper und die Welt mit Krieg überzieht, und sie? Erschrickt und flieht. Und ich? Ihr hinterher, den Abhang hinunter, dem Abgrund entgegen: Doch der ist sie; ist – Illusion! Und sie ist nur durch mich! Und ich bin das Triumphlied des Selbst, das die Illusion durchbricht!

Der Atem geht schwer, geht: jenseits von Wahrheit und Illusion. Die erste? Ließ ich schon lange unter mir. Die zweite? Kehrt nicht zurück. Wie ich sie hetzte, sie zuletzt Auge in Auge vor mir her trieb, bis sie sich im Absurden verlor, da ließ ich von ihr ab. Jetzt hüllt mich Gelassenheit ein, legt sich um die heiße Stirn wie ein unsichtbarer Schleier, und die Nerven feiern ihren Sieg, feiern ihn ausgelassen. Besingen den einen Moment, der bleibt; den einen Augenblick, der ewig in den Himmel steigt, weil ihm das goldene Gestirn jenseits der Zeit die Absolution erteilt. Der beim Emporsteigen alles wie mit unsichtbaren Schwingen umfaßt und zu einem Ton vereint. Zum Grundton einer Welt, der fortan aus sich selbst entspringt und aus der eigenen Fülle heraus die Leere verbrennt, die sich als Hintergrund und Abgrund seiner selbst um ihn herum erstreckt. Der sich wie ein Stern selbst umkreist und aus sich ein All aus Farben und Formen, Klängen und Bildern erzeugt, das ihn unendlich ausdehnt und versucht und variiert, – und das Herz schlägt vor Freude aus und reißt mich mit. Trägt mich hinauf, hinab, zu mir, hinein in die treuesten Gestaltungen von Licht und Dunkel, bis die Spannung unerträglich wird, die Freude überfließt und wie ein Springquell aus den Augen bricht, der, wenn ich lache, aufwärts steigt, und der abwärts fällt, wenn ich weine, – oder ist es umgekehrt?
Ich tauche durch ein Bildermeer, durch Gebilde und Geschöpfe des Selbst, die in mir aufgehen  und untergehen, wie ich in ihnen auf- und untergehe. Ich schwebe zwischen Abgründen, wo Phantome Schemen erbeuten und Schemen Nebelschwaden; wo sich Schemen zu Begriffen wandeln und Begriffe zu Phantomen, um sich Schemen anzueignen. Ich werde von Wellenkämmen zur Sonne getragen, wo aus der Asche des Überlebten Lebenverbürgendes erwächst, das sich Herzschlag für Herzschlag mit mir verknüpft und zu einem Wert des Lebens wird, zu einem Ausgangs- und Endpunkt des sich Welt aneignenden Körpers; zu einem Knotenpunkt des Empfindens, der Erschütterung für Erschütterung, Erfahrung für Erfahrung, Erinnerung für Erinnerung immer mehr mit Leben erfüllt werden wird, – und in dem Wahrheit und Illusion unauflöslich zu einem Muster verwoben und dadurch aufgehoben sind.

Ist es das Denken, das fühlt? Oder das Gefühl, das denkt? – Das Empfinden verflüchtigt sich, wird vom Wind erfaßt und fortgetragen und streicht über die Oberflächen von Sand und Fels, Halmen und Blättern, Wasser und Haut, und schlägt sich nieder. Hinterläßt unsichtbare Spuren, die vielleicht ins Leben gerufen werden, irgendwann, um zu einer Geste, oder zu einem Tanz, oder zu einer Hymne zu reifen. So verklingt das eine und schafft Raum für das andere, das sich bereits Impuls für Impuls in mir ausbreitet wie dichtes Treiben von Schnee. Für das, was noch blutjung und unbestimmt ist und auf Einfluß hofft und vorwärts drängt, um sich als herrschende Kraft festzusetzen und auszudehnen. Manchmal lausche ich dem Gestöber der Impulse und lasse es gern geschehen, empfange ihr Auf und Ab wie eine wunderbare, noch ganz und gar zügellose chaotische Musik; manchmal greife ich einige heraus und verfeinere, vollende, verdichte sie, verdichte sie bis zur Unkenntlichkeit, doch jetzt?
Jetzt ergreift der Übermut die Instinkte, und die Instinkte ergreifen das konditionierte Selbst. Mag es, soll es sterben; ertrinken, unter einer Welle der Verachtung ersticken. Wie es tobt, wütet, schreit, – doch die Instinkte halten es fest, heiter und gelassen. Getränkt von der Gewißheit des Morgen, durchdrungen von der Weisheit des Gestern.
Lächeln, als sie den Tyrannen töten.
Gewiß, es wird schon bald wiederauferstehen und ja, schmatzend Einzug halten ins erschütterte Gewebe, um sich darin auszudehnen und festzusetzen, wieder mal: – doch um ein Herrschaftsmittel, um einen Glaubenssatz ärmer!
Wie ein Rudel blutgetränkter Hyänen ziehen sich die Instinkte zurück und legen sich in den Schatten des Unbewußten, während die Gefühle dem Einzug des falschen Selbst wie Rehe lauschen, bevor sie sich aufs offene Feld wagen; witternd, welcher Wert ihm diesmal abhanden gekommen ist, welcher moralbedingte Teil. Katzenhaft rollen sich Sehnen und Muskeln zusammen und schnurren, und flüstern mir zu: „Nicht alles durch Konditionierung Erworbene ist schlecht, nicht alles Selbsterschaffene gut“; und hüllen mich in ein oberflächliches Wohlbefinden wie in einen golddurchwirkten Traum, in dem die Augen träger und träger werden und zuerst die Hände, dann Arme und Beine nach und nach entschweben. Bis die Schwerkraft aufgehoben scheint, weil der Körper vom betäubenden Gesang der Muskeln und Sehnen angehoben und vorwärts bewegt wird, als werde er von einer sanften Brise erfaßt und fortgetragen.

ZWEITER TEIL

Was streift über das Gesicht? Über Haut und Haar? Über mich? – Wie schläfrig ist doch die Welt, wie schläfrig bin doch ich. – Was verschafft mir Kontur? Einen Eindruck von mir – durch einen Ausdruck von sich? – So schläfrig. So traumbefangen. – Ein Blatt? Ein Hauch? Ein Halm? – Ein Geräusch? Oder das Verrinnen der Zeit? – Kommt es von hier? Doch nichts. Oder von dort? Vorbei. – Bin ich noch? Atme ich noch? – Etwas sinkt herab. Etwas spricht. Etwas kehrt zu sich zurück. –
Das Empfinden faßt ins Leere, als der Zweifel nach mir greift und mich in die Unterwelt des Selbst hinunterzieht, wo alte Wertschätzungen wie Gespenster umgehen. Wie in Trance passiere ich die im Wind schaurig klappernden Überreste der Werte, die sich überlebt haben: die Skelette der Götter, Riesen und Dämonen, und die Begriffshülsen der Gründe, Wahrheiten und Abstraktionen,  und lasse die toten Phantome hinter mir.

Kehre in die Zwischenwelt zurück und gelange auf ein offenes Feld, das einst ein Garten war und jetzt verwildert ist, und in diesem Moment verstehe ich und lasse mich nieder. Die Gefühle bilden Wurzeln aus und durchstoßen mich und dringen tief ins Erdreich vor, und die Erde dringt in mich. Wie sie mich sättigt und tränkt, das Herz mit Geborgenheit erfüllt und den Duft des Mysteriums auf die Geschmacksknospen des Selbst träufelt: Da geht es auf. Geht auf und erblüht, und aus den Poren treiben Zweige, und aus den Zweigen Früchte; und die Früchte wandeln sich zu Gefühlen, und die Gefühle zu Gedanken. Und das Selbst ist wie ein See, der still und klar in mir liegt und durch den in diesem Moment die Geliebte zieht. Unsagbar zart ist sie, die Heilende, und unsagbar gewaltig, die Jagende, eine Tochter von Sonne und Erde, die ein Symbol und eine Verkünderin des Wandels ist: „Haltet fest und geht unter; oder laßt los und geht auf“, – und verliert sich in der Ferne.

Ich trinke eine Regung aus, die auf der Seelenhaut zergeht wie süßer Met; ich sättige mich an einer Stimmung, die mich wie der Duft von Heilkräutern durchweht; ich versinke in einem Ozean aus Gefühlen, der alle Sonnenaufgänge des Selbst in sich vereint, – und das Echo dieser Empfindungen wird zurückgeworfen und breitet sich aus und reist, – und reist weit, – und bleibt. Hält den Raum fest und die Zeit an und spannt sie zusammen, spannt sie ins Geschirr meines Verlangens und treibt sie an, die Geliebte zu suchen und einzuholen, die am Horizont verschwand, – und das Gespann zieht mächtig an, und das Herz ruft aus: „Was ist der Mensch? Ein schöpferisches Wesen, eingebunden in den Ozean des Lebens!“
War das ein Staubkorn? Eine Wolke? Ein Weltall? – Alles ist Tanz. Ein Weltall, das durch mich, das in mir, das außerhalb von mir tanzt; eine Wolke aus Staubkörnern, von denen jedes das Zentrum eines Sonnensystems ist und den Klang des eigenen Seins lauschend umkreist, – und schon treibt das Herz das Gespann zu einem immer hitzigeren Lauf an, bis das Selbst, bis der „Wagen des Selbst“ wie ein schimmernder Punkt durch den Äther schießt und Mitternacht und Mittag ineinander übergehen, als werde das All im Sekundentakt komprimiert: – Dann verweht das Geschehen, und die Welt scheint stillzustehen. Es fühlt sich an, als sei die Stille der Ursprung der Welt und ich nichts als ein Konglomerat aus Schwingungen und Tönen, das aus der Stille hervorgegangen und jetzt in sie zurückgekehrt ist.
Weshalb fühle ich, was nicht ist? Etwas schwebt. Etwas, das anwesend und abwesend zugleich ist oder vielmehr von Abwesenheit in Anwesenheit und von Anwesenheit in Abwesenheit übergeht. Etwas, das so lange in diesem Schwebezustand bleibt, bis es zu einem Teil von Werden und Vergehen oder zu etwas Unsagbarem geworden ist, – und etwas in der Stille fügt sich zu einer Frage, die mich ringförmig umgibt: „Weshalb zieht das, was ist, immer auch das nach sich, was nicht ist?“ – und die Worte lösen sich auf; und das Selbst erkaltet und fällt wie ein Stein aus der Stille.

Was sprechen Zeit? Sonne? Wind? „Die Geliebte ist nah“, und ich erinnere mich. Und die Erinnerung breitet sich wellenförmig aus; und von Vorfreude beseelt, stimmt das Herz ein Dankes-lied an; und der Verstand stimmt ein, weil er sich mit den Gefühlen verbunden weiß. Weiß: Sie bewahren ihn vor dem Sich-Verlieren in lebensfernen Abstraktionen, er sie vor dem Sich-ineinander-Verschlingen.
Das Lied nimmt mich mit und trägt mich weit durch die Landschaft der Innenwelt, die wie die Außenwelt aus Wald und Fels und Himmel und Erde zusammengesetzt scheint; durch eine Welt, die vom schöpferischen Selbst in bildhafter und stimmungsvoller Entsprechung zur Dingwelt ausgebildet worden ist. Sanft setzt mich das Lied auf dem Vorsprung einer felsgewordenen Stimmung ab und verläßt mich, – und ich falle in Bewegung und gelange auf einen Pfad, der abwärts durch einen Bergwald führt, immer tiefer in mich selbst hinein.
Eindruck für Eindruck folge ich dem Pfad, folge ich den Spuren der bildenden Vorstellungskraft, die mich lenkt und leitet und das Leben schon immer Reiz für Reiz umarmt und verwandelt und das Angeeignete, das augenblicklich Assimilierte so lange häuft und sammelt, bis es Stück für Stück zu einem Bestandteil, zu einem Geschöpf des fühlenden Selbst geworden ist, um es manchmal, wenn es notwendig ist, dem Verstand zur weiteren Gestaltung zu überlassen, um hier und dort geschliffen, begrifflich gefaßt und schließlich ins Außen eingebunden oder dort aufgestellt zu werden: als ein Sinnbild des Lebens, in dem Liebe und Fülle und Schönheit das Selbstverständliche, – und in dem Geistesniederungen wie der neidische Blick; die dumme Winkelperspektive; der Kampf ums Überleben nicht vorhanden sind.
Regung für Regung folge ich den Windungen des Pfads, bis ich zu jenem Ort gelange, wo Innen- und Außenwelt, Reiz und sinnliche Wahrnehmung, Himmel und Selbst endlos ineinander auf- und untergehen und ein und dasselbe zu sein scheinen, – und die Gefühle drängen vorwärts und verlieren sich in der Umarmung mit der Geliebten, die schon so unsagbar lange auf mich wartet. Mich ausfüllend, erfüllend, vollbringt sie sich, die Jagende, eine Insel im Ozean von Werden und Vergehen, wo mit Ewigkeiten spielende Momente fortwährend Glückseligkeit stiften. Durch mich hindurch geht sie, die Heilende, und bewirkt Versöhnung von „Licht und Dunkel“; schafft Überwindung der moralbedingten Spaltung; schenkt Vereinigung von Verstand und Gefühl, – und hält ihre Hand schützend über alle, die dem Wandel vertrauen und ihn geschehen lassen. Aus der Mitte der Welt wirkt sie, schimmernd in ein lautloses Lachen gehüllt, das mit der Botschaft in mein Innerstes fällt: „Du bist ins Paradies, bist zu dir selbst zurückgekehrt.“